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Vom Feedback zur gemeinsamen Gestaltung

Wie Studierende mit der Formative Teaching Analysis Poll (FTAP) Lehre mitgestalten

von Thies Johannsen

©2025 Simon Brunel (Berlin University Alliance)
Mein Ausgangspunkt: Evaluation als Gestaltungsinstrument

In meiner Lehre wollte ich nicht länger bis zum Semesterende warten, um zu erfahren, was funktioniert und was nicht.  Summative Evaluationen liefern wertvolle Rückmeldungen – aber zu spät, um sie noch für den laufenden Kurs zu nutzen. Mein Ziel war daher, frühzeitig zu verstehen, wie Studierende tatsächlich lernen, welche Methoden sie unterstützen, wo sie ins Stocken geraten und wie ich den Lernprozess gezielt anpassen kann.

Auf der Suche nach einem geeigneten Ansatz stieß ich auf die Teaching Analysis Poll (TAP). Dabei handelt es sich um eine qualitative Methode, die an vielen Hochschulen erfolgreich als Zwischen-Evaluation eingesetzt wird. Sie sieht vor, dass ein:e externe:r Moderator:in mit den Studierenden über ihre Lernerfahrungen spricht und die Ergebnisse anschließend aufbereitet und mit der Lehrperson diskutiert.

An meiner Universität war jedoch niemand verfügbar, um diese Moderationsrolle zu übernehmen. Die Ressourcen fehlten schlicht. Das war der Ausgangspunkt einer eigenen Entwicklung: Ich wollte die bewährte Grundidee der TAP übernehmen, sie aber so weiterentwickeln, dass Lehrende sie selbstständig und niedrigschwellig anwenden können, ohne externe Begleitung, aber mit gleicher dialogischer Wirkung. Das Ergebnis ist die Formative Teaching Analysis Poll (FTAP).

Was ist die Formative Teaching Analysis Poll (FTAP)?

Die FTAP ist eine begleitende, formative Lehrevaluation, die kontinuierlich während des Semesters durchgeführt wird. Im Unterschied zu klassischen Evaluationen steht nicht das Ergebnis am Ende, sondern die gemeinsame Reflexion im Mittelpunkt. Lehrende und Studierende betrachten die Lehrveranstaltung als gemeinsamen Lernraum: Beide Seiten bringen Beobachtungen, Erfahrungen und Vorschläge ein. Statt Kontrolle geht es um Co-Creation und aktive Mitgestaltung von Lernumgebungen durch Studierende. Zentral ist dabei ein Lernjournal, das fortlaufend von Studierenden geführt wird. Darin werden regelmäßig kurze Reflexionen festgehalten, die sich an den Leitfragen des Vorbilds TAP orientieren:

  • Was hat mir diese Sitzung beim Lernen geholfen?
  • Was hat mich beim Lernen behindert?
  • Was könnte verbessert werden?

Diese Reflexionen werden gesammelt, thematisch ausgewertet und in den folgenden Sitzungen gemeinsam besprochen. So entsteht eine kontinuierliche Feedback-Schleife, in der Lehre und Lernen Schritt für Schritt aufeinander reagieren.

    Warum FTAP? - Von der Evaluation zur Co-Creation

    FTAP ist mehr als ein Evaluationsinstrument. Für mich ist sie eine Haltung gegenüber Lernen und Lehre, weil sie voraussetzt, dass Studierende Expert:innen ihres eigenen Lernprozesses sind. Lehrende wiederum sind Expert:innen für didaktische Gestaltung. Beide Perspektiven zusammen schaffen eine deliberative Lernkultur, in der Rückmeldungen nicht als Kritik, sondern als gemeinsame Entwicklungsimpulse verstanden werden.

    Das verändert Rollenverständnisse: Studierende übernehmen Mitverantwortung für ihre Lernumgebung, Lehrende öffnen ihren Kurs als Resonanzraum. Oder wie es eine Studentin einmal formulierte:

    „Ich sehe meine Rolle in der Lehrveranstaltung vielleicht ein bisschen wie die eines Co-Piloten: Während die Lehrperson den Kurs setzt, gebe ich Feedback, wie sanft wir fliegen – oder ob wir gerade Turbulenzen durchstehen.“

    Eine solche Perspektive stärkt nicht nur Motivation und Identifikation, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion, und zwar auf beiden Seiten. Lehrende erhalten kontinuierliche Einblicke in Lernprozesse, Studierende erleben, dass ihre Rückmeldungen tatsächlich Wirkung zeigen und übernehmen eine Mitverantwortung für den Lenrprozess.

    Wie funktioniert FTAP in der Praxis?

    Die Methode folgt einem einfachen, wiederholbaren Ablauf und kann mit vorhandenen Tools umgesetzt werden, z. B. mit einem digitalen Lernjournal, Etherpad oder einer anonymen Feedbackplattform.

    1. Einrichtung des Feedbackkanals: Lehrende stellen zu Beginn des Semesters ein Lernjournal oder digitales Pad bereit.
    2. Regelmäßige Reflexion: Nach jeder Sitzung oder thematischen Einheit beantworten Studierende kurze Leitfragen.
    3. Auswertung: Lehrende analysieren die Einträge qualitativ (im Lehralltag kann dies pragmatisch erfolgen).
    4. Rückspiegelung: Die wichtigsten Erkenntnisse werden in der nächsten Sitzung vorgestellt.
    5. Gemeinsame Maßnahmen: Studierende und Lehrende vereinbaren kleine, konkrete Anpassungen.
    6. Iterativer Prozess: Das Verfahren wiederholt sich und Feedback wird Teil des Lehrens und Lernens.

    So entsteht eine dynamische, lernbegleitende Evaluation, die nicht unterbricht, sondern integriert. Nebenbei werden Feedback Literacies ausgebildet. FTAP passt besonders gut zu Lehrformaten, in denen Reflexion, Projektarbeit oder forschendes Lernen im Mittelpunkt stehen.

    Wirkung: Was sich durch FTAP verändert

    In der Praxis zeigt sich, dass Studierende sich durch die FTAP stärker mit dem Kurs identifizieren. Viele erleben erstmals, dass ihr Feedback ernst genommen und sichtbar umgesetzt wird. Ein Studierender brachte es so auf den Punkt:

    „Bisher hat die Lehrperson auch jede noch so kleine Kritik sofort aufgegriffen und angesprochen. Das kenne ich von der Uni nicht – und das finde ich äußerst positiv.“

    Diese Rückmeldungen spiegeln sich auch in qualitativen Auswertungen wider:

    • Engagement und Ownership steigen – Studierende übernehmen Mitverantwortung für die Gestaltung des Lernraums.
    • Reflexion und Feedbackkultur entwickeln sich zu festen Bestandteilen der Veranstaltung.
    • Lehrqualität verbessert sich messbar, weil Anpassungen evidenzbasiert erfolgen.

    Für Lehrende entsteht ein kontinuierlicher Lernprozess: Die Methode ermöglicht, Lehre situativ zu steuern, Interventionen zu testen und Ergebnisse zu reflektieren. Sie ist damit nicht nur ein Werkzeug zur Qualitätssicherung, sondern zur professionellen Selbstentwicklung.

    Lessons Learned: Haltung, Vertrauen, Transparenz

    Die Einführung der FTAP war für mich selbst eine Lernreise. Der Aufwand für die wöchentlichen Rückmeldungen ist überschaubar. Entscheidend ist die Haltung. Es braucht Mut und die Bereitschaft, Kontrolle abzugeben, Studierenden zuzuhören und offen auf Vorschläge zu reagieren.

    Wichtig ist auch Transparenz: Nicht jedes Feedback kann umgesetzt werden, aber jede Entscheidung sollte nachvollziehbar sein. Damit wird auch ein begründetes „Nein“ zu einem Teil der gemeinsamen Verantwortung. So entsteht eine Kultur, in der Lernen und Lehren als geteilter Prozess verstanden werden.

    Appell an Lehrende, Mut zu haben

    FTAP ist keine Methode „von der Stange“, sondern ein flexibles Konzept, das sich an unterschiedliche Lehrstile und Fachkulturen anpassen lässt. Wer Studierende als Expert:innen ihres Lernens begreift, entdeckt, dass Feedback kein Kontrollinstrument ist, sondern der eigentliche Motor gemeinsamer Entwicklung. Dazu braucht es aber auch den Mut, die eigene Kontrolle aus der Hand zu geben und sich auf die Beiträge der Studierenden einzulassen.

    Ich lade Lehrende ein, diese Haltung auszuprobieren: klein anfangen, regelmäßig Rückmeldungen einholen, Ergebnisse transparent zurückspiegeln und beobachten, wie sich der Lernraum verändert.

    Zur Vertiefung

    Für alle, die die Methode weiter erkunden möchten:

    • Johannsen, Thies & Meyer, Henning (2023): Improving Teaching Quality in Higher Education. A Practitioner’s Guide to Using Formative Teaching Analysis Poll. In: SEFI Conference Proceedings. [DOI: 10.21427/8REM-2V61]
    • Johannsen, Thies (2024): Formative Teaching Analysis Poll – Mit einer begleitenden Evaluation zur Co-Creation von Lernräumen. TURN Conference Poster. [DOI: 10.5281/zenodo.15118071]
    • Johannsen, Thies (2025): Die Zukunft akademischer Berufe. Kapitel 8.4: Begleitende Lehrevaluation mit Formative Teaching Analysis Poll. transcript Verlag, S. 288-305. [DOI:  10.14361/9783839408759]